Erdogan vs. Böhmermann – ein Konflikt für die Mediation?

Die internationale Aufregung um das in einem bestimmten Zusammenhang vorgetragene Gedicht von Jan Böhmermann ist auf allen Kommunikationskanälen ausgiebig diskutiert worden.
Mittlerweile haben sich die (öffentlichen) Wogen ein wenig geglättet und die Protagonisten beschäftigen sich mit neuen Herausforderungen.

Ein Beitrag von DRadio Wissen beschäftigt sich mit der Thematik Böhmermann und Erdogan aus der Sicht der Mediation.

Die Moderatorin Sonja Meschkat befragt die Mediatorin Andrea Wegner-Katzenstein zum Konflikt zwischen Herrn Erdogan und Herrn Böhmermann und wie dieser zu lösen wäre.

Die Mediatorin hat auch keine Lösung – brauch‘ sie aber auch nicht

Um es vorweg zu nehmen, auch Frau Wegner-Katzenstein bietet nicht DIE Lösung in dem Konflikt. Aber als Mediatorin ist es auch gar nicht ihre Aufgabe nach Lösungen zu suchen. Mediatorinnen und Mediatoren unterstützen beide Konfliktparteien, gemeinsam, aktiv nach einer Lösung zu suchen.

In einem Konflikt steckt meist mehr als sichtbar ist

In dem Interview äußert Frau Wegner-Katzenstein ihre Vermutung, dass hinter diesem Konflikt höchstwahrscheinlich mehr steckt, als nur eine Beleidigung. Sie spricht davon, dass hier zwei Wertesysteme aufeinander treffen.

Wertesysteme entstehen durch soziale, politische, kulturelle und religiöse Prägungen und Erfahrungen. Ähnlich einer Schablone oder Messlatte kann ich (m)ein persönliches Wertesystem verwenden. Ich kann mein Wertesystem quasi als Maßstab nehmen und neben Erlebnisse und Meinungen legen. Ich kann damit prüfen, ob dieses oder jenes in mein Wertesystem passt. Und mich dann entsprechend verhalten.

Somit ist es eigentlich ganz normal, dass im Konflikt ein Sachverhalt meist aus verschiedenen Perspektiven betrachtet wird. Die Maßstäbe der Wertesysteme können sich durch individuelle Prägungen unterscheiden und Einfluss auf die Wahrnehmung und Reaktion im Konflikt nehmen.

In einem Konflikt lässt sich viel vermuten, die Konfliktparteien wissen es besser

In einer Mediation geht es nicht um die Positionen der Konfliktparteien. Es geht um die Interessen und Bedürfnisse dahinter. Als Mediatorin weist Frau Wegner-Katzenstein zu Recht darauf hin, dass es wichtig ist, das gegenseitige Verstehen zu ermöglichen.

Erst wenn verstanden wird, dass die andere Konfliktpartei nicht aus einer Laune heraus, impulsiv, bewusst schädigend/verletzend gehandelt hat, sondern, dass hinter dem Verhalten/der Aussage ein konkretes Bedürfnis steckt, erst dann kann es möglich sein, wieder miteinander ins Gespräch zu kommen.

Dazu bietet die Mediation einen geschützten Rahmen, der den Konfliktparteien Raum gibt, von den Positionen über die Interessen zu den eigenen Bedürfnissen zu gelangen. Die Aufgabe der Mediatorin/des Mediators ist es, die Konfliktparteien dabei zu begleiten und methodisch zu unterstützen. Es ist naheliegend, klingt vielleicht banal: Die Konfliktparteien sind die Experten für den Konflikt und die Mediatoren sind die Experten für das Verfahren der Mediation.

Zu einer Mediation gehören mindestens drei

Es muss aber ein Interesse an der Mediation bestehen, damit ein Verfahren mit allen durchgeführt werden kann. Damit ist nicht die Teilnahme an einer Mediation gemeint, sondern es geht um (viel) mehr: Es geht dabei um die (eigen-)verantwortliche Beteiligung an der Konfliktlösung.
Die Konflktparteien sind die Experten in dem Konflikt, sie kennen ihre eigene Position, Perspektive und Lösungsidee in dieser Sache. Sie müssen bereit sein, diese (der anderen Konfliktpartei) zumindest mitzuteilen. Erst dann kann eine Annäherung entstehen, Stichwort „gegenseitiges Verstehen“.
Bei der Konfliktlösung geht es darum, aktiv die eigenen Bedürfnisse zu benennen, Wünsche zu äußern und an gemeinsamen Lösungen zu arbeiten.

Eine Teilnahme, im Sinne von Anwesenheit, ohne aktive Beteiligung wird zu keiner tragfähigen Lösungen führen.

Sollten Erdogan und Böhmermann eine Mediation versuchen?

Im „normalen“ Leben würde sich ein Konfliktfall im Stile von „Erdogan vs. Böhmermann“ in einer schwierigen Ausgangslage befinden.

Aufgrund der vorliegenden Informationen, liegt nach meinem Eindruck die Vermutung nahe, dass wenig keine Bereitschaft besteht, sich an einer persönlichen Konfliktschlichtung „unter sechs Augen“ zu beteiligen. Die Mediation kann aber nur beginnen, wenn beide Konfliktparteien dazu bereit sind.

Zudem ist der Konflikt mittlerweile eskaliert und es sind weitere Beteiligte hinzugekommen (die Bundeskanzlerin, deutsche Gerichte, Rechtsanwälte). Im Rahmen einer Mediation müsste jeweils ihre Rolle im Konflikt, sowie ihre Interessen und Bedürfnisse geklärt werden. Möglicherweise müssten sie an der Mediation beteiligt werden.

Das sind zwei Punkte, die eine Mediation unwahrscheinlich machen.
ABER: Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass Mediation bei sehr vielen Konflikten, auf dem Weg zu einer gemeinsamen Lösung unterstützen kann.

Die (positiven) Veränderungen bei den Konfliktparteien während einer Mediation zeigen mir immer wieder, dass es gute Chancen gibt, Konflikte selbstverantwortlich zu klären. Es ist oft nicht nötig, die Verantwortung an andere Personen oder Einrichtungen abzugeben.
Das gemeinsame Bearbeiten eines Konfliktes, ist die Grundlage dafür, dass die gefundenen Lösungen tragfähig und in der Zukunft umsetzbar sind.

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==> Was ich durch das DRadio Wissen-Interview gelernt habe <==
Interviews mit Mediatoren sind eine Herausforderung (für die Mediatoren).
Dabei stellt sich nämlich häufig die Frage, geht es um das Verfahren oder die Einschätzung der Mediatorin/des Mediatoren?
Das zu trennen UND verständlich zu vermitteln ist nicht einfach.

Kommentare (2) Schreibe einen Kommentar

  1. Ein sehr schöner Artikel, der 1.) deutlich macht, worum es im Böhmermann/Erdogan-Konflikt eigentlich geht und 2.) dass und wie Mediation ggf. bei der Konfliktbearbeitung unterstützen kann. Sehr gern gelesen!
    Ich bin übrigens davon überzeugt, dass auch bei zunächst wenig zielführenden Gesprächen, Prozesse in Gang kommen, die an anderer Stelle nützlich sind.
    Den Beitrag von DRadio Wissen höre ich mir übrigens erst im Nachgang an 🙂

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    • Vielen Dank für Deinen Kommentar.
      Du hast Recht mit den Prozessen, das sehe ich genauso. Wir sind es gewohnt in Positionen zu denken und nicht, auf die Gemeinsamkeiten zu achten. Das verbaut uns oft konstruktive Wege.

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